Süddeutsche Zeitung
Weg von der Straße
Mittwoch, 17.23 Uhr, eine Interpretation des Songs der kalifornischen Bluesmusikerin Etta James webt sich am Reichenbachplatz in den Sound der Münchner Innenstadt ein. Der Sänger des Liedes „I’d rather go blind“ heißt Jesper Munk und ist ein 20 Jahre alter Straßenmusiker, der sich mit seiner prägnanten Stimme gerade aufmacht, die kleinen Konzertbühnen der Stadt einzunehmen. Manche seiner Blues-Songs wurden schon in den Radioprogrammen des Bayerischen Rundfunks gespielt, und fast jeden Mittwoch gastiert er in der Reihe „Fish ’n’ Blues“ im Café der Münchener Glockenbachwerkstatt.
An diesem Tag aber sind Passanten seine Zuhörer. Eine Radlerin zieht sich an der Ampel auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihre Kopfhörer von den Ohren, um Munks Blues zu lauschen. Munks Lohn ist nicht allein das Geld, das in Münzen vor seine Füße klimpert, sondern das Lächeln seiner Zuhörer. Etwa dreimal die Woche spielt Jesper Munk hier, meist etwa um diese Zeit, 30 Minuten ungefähr für 30 Euro im Schnitt oder wie er sagt: „Ich mach das solange, bis ich mir ’nen Snack, Kippen und ein Bier kaufen kann.“
Oftmals sprächen ihn Leute zwischen seinen Songs an und bedankten sich für seine Musik. Viele fragten aber auch, „ob sie mir Auftritte besorgen oder eine Plattenfirma finden können“, sagt Munk. Einer dieser Zuhörer war Ralf Summer, Musikredakteur des Zündfunks. Er war fasziniert von der Stimme des jungen Musikers. Das war der eine glückliche Zufall. Der andere war, dass Ende März 2012 Sven Regener sein legendäres Wut-Interview im Zündfunk gab und die Urheberrechtsdebatte damit befeuerte. Einer der Sätze der Profimusikers Regener lautete: „Ich möchte kein Straßenmusiker sein.“ Summer dachte bei Regeners Satz an Munk.
Zwei Tage nach dem Interview saß Munk beim Live-Abschied von Studio 12, jahrzehntelang quasi das Wohnzimmer des Senders. „Wir haben dich von der Straße geholt“, sagte damals BR-Redakteur Achim Bogdahn immer wieder zu Munk. Jesper Munk lachte zwar, doch es fuchste ihn auch, auf seine Straßenkonzerte reduziert zu werden. Jespers Vater, der Münchner Musiker Rainer Germann, Bassist und Sänger der Münchner Popband Cat Sun Flower , bestätigt, dass sein Sohn gern von der Straße wegkommen würde. Das nötige Rüstzeug dazu bringt Munk mit. Und das ist vor allem seine faszinierende Stimme. „Ich hab bis vor kurzem nie etwas gemacht außer unter der Dusche zu singen“, sagt Munk. Seine Stimme erinnert an den populären Blues- und Jazzmusiker Amos Lee aus Philadelphia oder an Andrew Strong aus dem Film „The Commitments“.
Der Sohn eines Bayern und einer Dänin, die in der Modebranche arbeitet, hat gerade mit „Ach und Krach“ sein Abitur am Münchener Luisengymnasium geschafft. Doch musikalisch sozialisiert wurde Munk durch die frühe amerikanische Blues- und Popkultur, durch Etta James, Tom Waits, Muddy Waters oder B. B. King. Zeitgenössischen Pop habe er wahrgenommen – nicht zuletzt wegen seines Vaters – aber interessiert habe der ihn ebenso wenig wie die aktuelle musikalische Jugenddroge. „In Elektro bin ich nie reingewachsen“, sagt er.
Die Idee, es als Straßenmusiker zu versuchen, hatte er vergangenes Jahr bei einem einwöchigen New York-Urlaub. „Dort gibt es an jeder Ecke Straßenmusiker“, sagt Munk. Er beschreibt die wenigen Tage in den USA als „prägend“: „Auf die Eindrücke, die man in New York in einer Woche sammelt, wartet man in München ein ganzes Jahr.“ Und wie das so ist mit jungen Männern und Gitarren, spielt da natürlich eine Frau, eine Münchnerin in New York, eine Rolle. Und die Eindrücke in der Stadt haben ihn darin bestärkt, in München auf der Straße zu spielen.
Ein paar seiner Songs beziehen sich auf die Geschichte mit dem Mädchen in New York, etwa „7th Street“, ein trauriger Blues über „eine unglücklich verlaufene Beziehung“, wie Munk erzählt. Diesen Blues singt er nun – Ortszeit 17.44 Uhr am Reichenbachplatz. Im Lied heißt es: „Satisfaction is a disease“; aber Jesper Munk schaut nach vorn und konzentriert sich auf seine Musik. Er will noch in diesem Jahr ein Album aufnehmen, fast ausschließlich mit eigenen Stücken.
Eine Frau an der Tram-Haltestelle läuft auf ihn zu und sagt: „Mit deiner Musik macht Warten auf die Tram endlich Spaß.“ Munk lächelt, die Frau auch. Dann – es ist 17.52 Uhr – geht Jesper Munk nach Hause, er hat ein Bier in der Hand und eine Zigarettenschachtel in der Tasche und lächelt noch immer. Marco Maurer