Süddeutsche Zeitung
Strandmanöver
Den ersten Surfer entdeckt man erst nach fast zwei Tagen. Er ist so, wie man ihn sich vorstellt, sehnig und kräftig zugleich, Sixpack, Surferhose über die Knie, fokussierter Blick, in seinen Augen glaubt man den Ozean erspüren zu können. Sein Name ist Kelly, er ist US-Amerikaner und auf einer Tapete in Zimmer Nummer 152 zu bestaunen. Sein bevorzugtes Handwerkszeug, ein Surfboard, steht in der Ecke des Raumes. Zuvor nächtigte man noch in der 224, einer Suite, dort war nicht die Spur eines Surfers zu finden – lässt man die Kissen mit der Aufschrift „Home is where the waves are“ mal außer Acht.
Kellys vollständiger Name ist Kelly Slater, 42, König der Wellen, und in einem der Räume des Beach-Motel St. Peter-Ording ist sogar ein von ihm unterzeichnetes Board an die Wand montiert. Aber wohl würde sich der echte Slater in dieser Unterkunft dennoch nicht fühlen. Denn Kollegen aus Slaters Surferszene sind hier eher nicht anzutreffen – und das, obwohl das in dieser Saison eröffnete „Beach Motel“ damit wirbt, dass es „vor allem die Zielgruppe der Surfer“ anziehe.
Ist man aber hier, genügt ein Blick auf den Parkplatz, um zu wissen, dass es sich anders verhält. Schwarz-graue Limousinen der Oberklasse schimmern genauso metallicsilbern wie die diversen Porsche-Modelle und Familienkombis. Ihre Besitzer: Wochenendtouristen aus Hamburg, eine fränkische Hochzeitsgesellschaft und jede Menge Prenzlauer-Berg-Biolimo-Eltern samt mächtigen Buggys. Immerhin: Ein echtes Surfermobil, ein Opel Combo, befindet sich auf dem Parkplatz. Die Fenster sind rundherum mit Handtüchern abgedeckt, und der rostige Kastenwagen steht auf einem Parkplatz mit dem Namen „Suite on Wheels“. Daneben die Stellplätze „Camper Deluxe“ oder „Surfstation Nummer 3“, die das Motel weniger zahlungskräftigen Surfern anbietet. Auf „Bulli Supreme“ parkt nicht wie zu erwarten ein rostiger Volkswagen T2, sondern ein 911er Porsche. Und dass der Besitzer dieses Fahrzeugs im Auto schläft, sein Wasser und den benötigten Strom aus den vom Hotel zur Verfügung gestellten Anschlüssen bezieht, ist nicht zu erwarten. Mindestens 15 Euro die Nacht müsste er dafür hinlegen, dafür bekäme der Halter des Wagens WC, Dusche und einen Trockenraum für seinen Neoprenanzug und seine Ausrüstung – hätte sie denn in seinem Auto Platz. Die Besitzer des Kastenwagens sind nicht auszumachen. Wahrscheinlich surfen sie oder hängen am Strand von St. Peter-Ording ab.
Für die Gäste des Hotels sind die gelegentlich aufkreuzenden Surfer authentisch-atmosphärischer Mehrwert, ein Lifestyle-Accessoire, und das Beach-Motel unweit der ikonischen Pfahlbauten am Strand somit eine willkommene Abwechslung zu den einfachen Backstein-Ferienhäusern, den Reetdächern und mancher aus den Jahren gekommener Architektur St. Peter-Ordings. Gleich am Deich mit direktem Zugang zum zwölf Kilometer langen Strand gelegen, macht das Hotel einen jungen, szenigen, ungezwungenen Eindruck – und es sieht aus wie der US-amerikanischen Ostküste entliehen: hellgraue Holzfassaden, außen liegende Treppen, weiße Veranden und Fensterläden aus Holz schmücken die drei wuchtigen Häuser. Sie tragen die Namen Hamptons, Cape Cod und Key West und lassen die Betrachter glauben, sie befänden sich eher im Osten von Long Island als in Nordfriesland. Das Hotel wirbt so auch mit dem Slogan „Hotel war gestern“; das Personal ist freundlich, entspannt, jugendlich. Allerdings ist das Mobiliar nicht von Wind und Wetter gegerbt oder von friesischen Sandkörnern abgeschmirgelt.
Jens Sroka, der Besitzer des Hotels, fährt einen weißen Porsche und sitzt an diesem Abend nicht in Flip-Flops und Shorts gegenüber seiner Hotelbar namens „Hang Ten“ (was der Name eines Surfmanövers ist), sondern in einem rosa-weiß gestreiften Hemd mit Polospieler-Emblem. Er kommt gerade von einem Gespräch mit Investoren. Ein zweites Beach-Motel an der Ostsee sei in Planung, sagt er, nachdem das erste hier ziemlich gut laufe. Sroka ist ein Macher-Typ, spricht schnell, kräftig, klar. Er kennt natürlich die Kritik aus der Surfer- und Kiter-Szene, das Hotel habe nichts mit ihrer Kultur zu tun. Sroka sagt, dass das Beach-Motel einst als reine Surferunterkunft geplant war, dann aber mit 11,5 Millionen Euro Baukosten etwas über dem Budget einer reinen Surferunterkunft lag. Nun habe er „neben der Marketing-Zielgruppe, den Surfern, eine reelle Zielgruppe“. Diese muss nur ertragen, dass die Kooperationspartner des Hotels dort allgegenwärtig sind; ständig begegnet einem ein Slogan, ein Emblem, ein Werbefilm eines Brause- oder Automobilherstellers.
Sroka ist, so sagt er, ein „Warmduscher-Kitesurfer“, keiner, der nach dem Arbeiten noch eine Welle nimmt, sondern einer, der lieber mal in Ägypten aufs Board steigt. Wenn er über die anderen Surfer spricht, sagt er im ironisch aufgesetzten Surferslang: „Der Ursurfer will da draußen sein.“ Dann zeigt er aufs Meer. Die stellvertretende Direktorin des Hotels sagt schlicht: „Wir verkaufen hier ein Gefühl.“
Die Stadtverwaltung hat Übernachten im Auto am Strand unter Strafe gestellt. In der Nacht stehen dennoch nur wenige Surfer auf den vom Hotel angebotenen Parkplätzen, aber 47 direkt am Strand. Alle haben am nächsten Morgen ein Knöllchen an der Scheibe – unter den Surfern bleibt somit alles, wie es war. Marco Maurer