Süddeutsche Zeitung
Sie waren Legenden
Das Verhältnis zwischen Musikern und den Journalisten, die über sie schreiben, war immer ein wenig so wie oft zwischen Liebenden. Es ging um Annäherung und Zurückweisung, man schmeichelte und schätzte sich, nicht selten ging es um Vertrauen, um Vertrauensbeweise. Beide Seiten waren sich im Klaren darüber, wie wichtig der andere ist. Man braucht sich, man tut sich eher gut, will sich nicht schaden.
Sehr schön beschreibt dieses Geplänkel um Nähe, Gunst und auch Bewunderung der Film Almost Famous , in dem eine aufstrebende Band vom Rolling Stone entdeckt wird. Die jungen Musiker sind allerdings unsicher, ob sie das Bündnis eingehen sollen. Doch andererseits wollen sie natürlich auf das Cover des bekanntesten Musikjournals – der Wunsch nach Aufmerksamkeit, Ruhm, wirtschaftlichem Erfolg ist größer und stärker als die behauptete Individualität.
So ähnlich trug sich das auch im richtigen Leben zu: Musiker wollten ihren Auftritt von der Show- auf die Heftbühne ausweiten. Dabei war es egal, ob ihre Musik gewürdigt oder verrissen wurde. Wichtig war, dass man überhaupt vorkam. Auch Dr. Hooks Lied „On the Cover of the Rolling Stone“ erzählt vom Wunsch einer Band, sich von dem einflussreichen Blatt an die Spitze beschleunigen zu lassen.
Doch das ist vorbei, der Hebel wirkt nicht mehr. Die Musikmagazine haben ihre Bedeutung verloren.
Printmedien aller Themen und Aufmachungen verlieren Käufer, auch Leser, doch das Segment der Musiktitel kämpft ganz besonders. Die Auflage des deutschen Rolling Stone (Springer Verlag) sank seit 1998 von 109 160 verkauften Exemplaren auf 51 413, die Auflage des Musikexpress – ebenfalls Springer – im selben Zeitraum von 90 227 auf aktuell 50 348 Stück. Das Popkultur-Panoptikum Spex aus dem kleinen Münchner Piranha Media Verlagliegt aktuell bei 14 398 Stück. Sogar Branchenprimus Intro aus Köln, das es kostenlos gibt und das eine so hohe Auflage (124 890) hat, von der andere nur träumen – verzeichnet seit 2007 Rückgänge. Die Leser fremdeln und, anders wahrscheinlich als in anderen Bereichen, auch die Protagonisten und die Macher in den Redaktionen. Was ist passiert?
Man kann zum Beispiel Markus Acher von The Notwist fragen, einer der bedeutendsten Gruppen des deutschen Pop. Er und sein Bruder Micha haben mit Neon Golden eines der Alben der Nullerjahre verfasst. Heute sagt er: „Musiker scheren sich nicht mehr um Musikmagazine.“ Eine Präsenz in einem der Blätter sei den meisten Künstlern „schlicht egal“.
Acher schreibt die neue Deutungshoheit des Popdiskurses dem Internet zu. Klar. Sein Beispiel ist die amerikanische Musikkritikplattform Pitchfork Media, für Acher „eine Instanz“. Pitchfork sei die Stimme, die über den Erfolg einer Platte richte, was man an den Verkaufszahlen ablesen könne, weil Blogs Bewertungen von Pitchfork viral im Internet verbreiteten. Doch immer noch, sagt Acher, finde man heute „interessante Artikel, die ich früher in Musikmagazinen gelesen habe, in den Feuilletons qualitativer Tageszeitungen“. Eine Präsenz in Feuilletons bewirke „mehr als eine Besprechung in Musikmagazinen“, sagt er und meint: mehr Leser, eine höhere Reichweite, also mehr verkaufte Platten. „Die Autorität der Musikmagazine, dass sie mehr wussten, als der, der sie liest, ist auch verschwunden“, sagt Acher, er wirkt, als er es sagt, beinahe verlegen.
Auch von anderen Künstlern oder Labels hört man, Musikmagazine könne man – wie sang noch PeterLicht? – an der Biegung eines Flusses begraben: Sie interessieren nicht mehr. Bei Grönland Records etwa, das Label Herbert Grönemeyers, hat man den Eindruck, sogar der populäre Sänger denke so. Auch bei den großen Firmen vernimmt man, „die Ära der Blätter ist dahin. Aber zitieren Sie weder mich noch unser Label“, heißt es dann. Offen darüber reden könne man nicht – „Systemabhängigkeit, Sie verstehen“.
Man versteht es, wenn man mit Thomas Morr, dem Gründer von Morr-Music redet. Das Label ist seit Jahren eine kleine Adresse für fein arrangierten Pop. Auch Morr wägt lange ab, ob er seinen Namen erwähnt haben will. Das Musikindustriegeflecht ist ein fein gewebtes, ein falsches Wort kann Folgen haben, die Branche kennt sich. Offenbar ist Morrs Label aber so gefestigt, dass sein Gründer vergleichsweise offen spricht. Er sagt: „Musikmagazin-Journalismus ist durch.“
Auch Morr sieht „eine Verschiebung der Kräfte“ in Richtung Feuilletons und Netz. Mit der Echtzeit-Schlagzahl des Internets können Musikmagazine nicht mithalten, der Trend ist kein Trend mehr, wenn es die gedruckten Blätter zum Trend erklären, er ist dann vielmehr schon im Allgemeinwissen der musikinteressierten Klientel verankert.
Bestes Beispiel war zuletzt Lana del Rey, von ihr konnte man überall hören, lesen oder einfach Videos auf Facebook ansehen, als die Musikpresse noch damit beschäftigt war, zu überlegen, wie sie die Künstlerin bewerten soll. Die klassische periodisch erscheinende Musikzeitschrift ist nicht mehr an der Spitze der Debatte. Die Smartphones der Rezipienten synchronisieren sich mit den dafür nötigen Instanzen sekündlich im Netz. Pop ist online, Musik und Meinungsbildung viral. Das Musikmagazin, der alte Onkel, ist in der aktuellen Form nicht mehr vonnöten.
Das alles liegt nicht nur am Internet, es liegt auch an den Heften selbst, die es offenbar immer mehr vorziehen, ihre Magazine über schöne Erinnerungen zu verkaufen. Auf dem Mai-Titel des Rolling Stone etwa ist Bruce Springsteen abgebildet, in der April-Ausgabe war Campino auf dem Titel. Und diese Retrospektive ist kein Einzelfall. Die Intro hat in ihrer aktuellen Ausgabe zum wiederholten Male Jack White auf dem Cover, während von der April-Ausgabe der Visions die Hamburger Indie-Onkels Kettcar lächeln, ganz so, als wäre es noch einmal 2002. Der Musikexpress blickt mit einem Coverfoto der Ärzte gleich knapp 30 Jahre zurück.
Nur die stets widerhakige Spex wartete immer mal wieder mit neueren Gesichtern (zuletzt etwa James Franco) auf. Doch auch wie es hier weitergeht, ist fraglich, da kürzlich vermeldet wurde, dass die Spex -Chefredakteure Jan Kedves und Wibke Wetzker durch den ehemaligen Rolling-Stone -Redakteur Torsten Groß ersetzt werden. Die Redakteure, die bislang unter Kedves und Wetzker arbeiteten, haben daraufhin geschlossen gekündigt. Sie glauben – so heißt es in einer E-Mail, die der SZ vorliegt – dass „die Spex von nun an eine andere sein wird“. Die Ära des Hefts, dem es noch immer am besten gelang, neue Popkultur-Themen zu setzen, könnte, so offenbar die Befürchtung, nun endgültig zu Ende gehen. Groß ist als Verehrer von Faith No More und Bruce Springsteen bekannt.
Die Musikmagazine haben sich thematisch nicht weiterentwickelt, erzählen noch immer von den großen Legenden von gestern, doch es gibt noch einen anderen Grund, warum die Titel Leser verlieren: Ihre augenscheinliche Nähe zur Musikindustrie hat viele Magazine ihre Glaubwürdigkeit gekostet. Es gibt viele Episoden, die davon erzählen, dass es Absprachen zwischen Plattenverlagen und Musikmagazinen geben soll. Es heißt, dass ganze Cover angeblich gekauft werden, weil Anzeigengelder der Plattenindustrie fließen: Ihr promotet unseren Sänger, wir bewerben dafür sein Album in eurem Heft.
Die Branche verneint das natürlich, und egal wo man fragt, hört man: Wir sind es nicht, vielleicht sind ja die anderen die Schmuddelkinder. Doch Thomas Morr etwa erzählt von E-Mails von Musikmagazinen, die ihn inhaltsgleich seit Jahren erreichen. Der Redakteur eines Heftes schreibt, die neue Platte des Labels sei der „totale Hammer“. Morr fragt daraufhin, ob das Blatt den Künstler vorstellen wolle. Die Antwort des Redakteurs: „Klar, wenn wir ne Anzeige kriegen – gerne.“
Dieses angeblich gepflegte Geschäftsgebaren ist kein Branchengeheimnis. Auch mancher Journalist – wie etwa der früh verstorbene Pop-Theoretiker und Publizist Martin Büsser – war schlicht angewidert von dieser Unart des Journalismus. Büsser sagte einmal – es gab riesigen Ärger mit einer Plattenfirma, nachdem er einen ziemlich rüden Verriss für Intro geschrieben hatte – „dieser Betrieb kotzt mich an“. Spricht man die Musikmagazin-Macher darauf an, heißt es, „der Einfluss der Musikindustrie ist marginal“ ( Intro -Chefredakteur Thomas Venker). Schließlich seien die Anzeigenerlöse in den vergangenen Jahren durch die Krise der Musikindustrie immer weiter zurückgegangen.
Das ist wohl richtig, aber auch ein schräges Argument – und augenscheinlich sind andere Erlöswege gefunden worden, um diesen Ausfall wettzumachen. Es gibt in den Heften zum Beispiel Modestrecken, die – obgleich immanenter Teil der neueren Popkultur – wohl vor allem den Ansporn für Jeans- oder Kosmetikartikel-Werbungen erhöhen sollen. „Anzeigenanreize“ sagt einer, der die Branchen kennt. Und wie soll man zum Beispiel einen Text in einem großen Musikmagazin verstehen, in dem „ein im Pop-Bereich agiler Produzent von Kräuterlikör“ ausführlich beschrieben wird?
„Bei mir gehen Warnlämpchen an, wenn ich Texte lese, die nicht aus voller redaktioneller Überzeugung geschrieben sind, sondern ich die Anzeigenkeule im Hintergrund vermute“, sagt dazu Bernd Gockel, der sich heute „Privatier“ nennt. Er kann so – obgleich immer noch Übersetzer für den Rolling Stone – seine Meinung einfacher kundtun als noch vor ein paar Jahren. Gockel gründete 1994 die deutsche Ausgabe des Heftes und stand diesem bis Ende 2009 als Chefredakteur vor. Manche meinen, er tat das zu lange, weshalb er vor drei Jahren wegen einer Neuformierung des Redaktionsteams ausschied. Unter Rainer Schmidts Chefredaktion widmete sich das Magazin vermehrt gesellschaftspolitischen Themen, wurde relevanter, die Auflagen blieben aber, mit Schwankungen, ungefähr gleich. Schmidt musste gehen, Sebastian Zabel ersetzt ihn. Vorgänger Gockel jedenfalls meint, es herrsche „ein gewaltiger Druck von Seiten der Anzeigenkunden, dass man – wenn man schon eine Anzeige schalte für einen Künstler – doch bitteschön auch redaktionell Beachtung finden möchte“.
Paradox an der Daseinskrise der großen Hefte ist die Entstehung ganz neuer Titel – mit einem ganz neuen Geschäftsmodell: Das Magazin Electronic Beats schreibt einfach vorne drauf, was es ist: ein Musikmagazin, finanziert durch einen Konzern, in diesem Fall durch die Deutsche Telekom. Während bei den anderen Heften zum Teil unklar erscheint, wie viel Einfluss von außen auf die Berichterstattung genommen wird, herrscht hier jedenfalls zumindest Transparenz darüber, wer das Heft finanziert.
Der ehemalige Rolling Stone -Chefredakteur Gockel sagt: „Wenn es denn wirklich redaktionell unabhängig ist, wäre das Telekom-Magazin im Gegensatz zu den bisher etablierten Musikzeitschriften die ehrlichere Lösung.“ Auch Musiker wie Jan St. Werner von Mouse on Mars oder eben Markus Acher denken ähnlich – obgleich sie, alter Subkultur-Reflex, Bauchschmerzen wegen der Konzernnähe haben.
Doch das vom Bonner Unternehmen finanzierte und von Burda publizierte Heft kommt schlicht daher und macht in seinem kunstbeflissenen Auftreten nicht den Eindruck einer Konzern-Steuerung. Zudem versucht das Magazin erst gar nicht mit der Aktualität mitzuhalten, das sinnlose Rennen mit dem Netz für sich zu gewinnen. Das englischsprachige Electronic Beats setzt eher auf zeitlose Eleganz und zeitgeistige Themen, gibt sich als eine Schnittstelle zwischen Kunst und Popkultur-Gegenwart.
In der aktuellen Ausgabe beleuchtet es so die junge deutsche Electro-Chanteuse Dillon, im Heft zuvor ließ man einfach zwei Legenden ihres Fachs, die Musiker Dieter Meier und Bryan Ferry, miteinander plaudern. Außerdem findet man immer ein kluges Wort vom Schweizer Kurator Hans-Ulrich Obrist, den der Chefredakteur des Magazins, Max Dax, als Autor gewinnen konnte.
Als Vorbild – das ist beim ehemaligen Spex -Macher Dax nicht neu – muss Andy Warhols Interview -Magazin herhalten. Und ähnlich wie Warhol hat Dax keine Scheu vor Mäzenatentum, welches er als „zukünftiges Finanzierungsmodell für bedrohten Magazinjournalismus“ sieht. Immerhin überlegenswert: Inhalt, Optik und Haptik des Hefts jedenfalls bewirken etwas, das die etablierten Musikmagazine auf ihrem Weg verloren haben – und zurückerobern sollten. Es vermittelt Wert, man will es aufbewahren, und das ist eine vertraute Form von Zuneigung. Marco Maurer