Logo - Marco Maurer Journalist


Meine Bude, deine Bude

Zusammen ist man weniger allein: WG-Zimmer auf St.Pauli als Hotelersatz

Es seien noch die Nummern 25 „Grit“, 41 „Catharina“ oder 46 „Anne Jürgber“ frei, sagt Henning Bunte am Telefon. Check-in sei immer 14 Uhr, Check-out bis 12 Uhr. Kurz darauf liegt eine E-Mail mit Bildern vor: Grit mag wohl die sechziger Jahre und ein schwedisches Möbelhaus, Catharina hat einen Hang zu friesischen Fliesen und Flötenkesseln, während es bei Anne Jürgber gemütlich wirkt.

Ich verbringe nur drei, vier Tage in der Stadt, stelle mir aber beim Betrachten der Fotos von Objekt 25, 41 oder 46 dieselben existentiellen Fragen wie bei der WG-Suche damals im Grundstudium: Sind die anderen nett? Sieht das Badezimmer nicht etwas schmuddelig aus? Mögen sie Tiere?

Eine Mail später, nach der Entscheidung für ein Zimmer, liegt die Buchungsbestätigung im Postfach, und es stellt sich heraus, dass das Objekt 46 „Anne Jürgber“ nicht eine Dame mit seltsamem Nachnamen, sondern die Wohngemeinschaft Anne, Jürgen und Bernd im Schanzenviertel auf St. Pauli ist.

Momentan vermittelt Henning Bunte mit seinem St. Pauli Tourist Office neunundvierzig dieser Privatwohnungen an Touristen. Die Idee kam Bunte im Sommer 2006, als sein Mitbewohner auszog und er sich fragte, „wohin bloß mit dem Zimmer?“ Er vermietete es einfach an Touristen. Kurze Zeit später fragte er Freunde mit leeren Zimmern an und wurde hauptberuflicher Zimmervermittler. Bevor er neue Zimmer aufnimmt, begutachtet Bunte die Wohnungen. Ob die Zimmer sauber seien, zwei Handtücher und Bettwäsche bereitgelegt, und ein Fach im Schrank frei geräumt werden könne. Manchmal, wenn er ein ungutes Gefühl habe, sage er auch Gästen ab. Bei mir hatte er keine Bedenken.

Bernd aus Nummer 46 heißt mich in seiner Wohnung willkommen. „Solange die Gäste nett sind, nehmen wir sie auf“, sagt er. Außerdem füllt sich die WG-Kasse; deswegen überlegen sie sich nun, ob sie sich eine Putzfrau leisten sollen. In einem Hotelzimmer würde ich jetzt eher unmotiviert durchs Fernsehprogramm zappen, Erdnüsse aus der Minibar knabbern und darauf hoffen, dass der Regen aufhört. Anders bei Anna, Bernd und Jürgen: Hier diskutieren wir, nach dem dritten Glas Rotwein, über die Gentrifizierung des Schanzenviertels. „Die Yuppisierung kann so nicht weitergehen, Hamburg verliert sein Gesicht“, sagt Bernd.

Für mich jedoch hat Hamburg in dieser Wohngemeinschaft an Profil gewonnen; denn aus der Nummer 46 „Anne Jürgber“ sind Anne, Jürgen und Bernd und ein unter dem Tisch schlafender Hund geworden. Und mit ihnen ist ein klein wenig das Gefühl gewachsen, in einer vertrauten Umgebung zu wohnen und dort sitzen zu können, wo Hamburg vielleicht am authentischsten ist: am Tisch in der Küche. Marco Maurer