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Klangräume

Soll Mozart zum Fünf-Sterne-Menü erklingen oder gar die markante Stimme von Freddie Mercury? Damit in Luxushotels das Musikniveau über den Klassik-Einheitsbrei steigt, tüfteln Musikexperten an den individuell passenden Sounds.

Der Oberkellner drückt auf die Play-Taste, und eine dezente Sonate von Mozart erklingt. „Schon wieder“, sagt der Mann augenrollend. Er weiß auch, welche Stücke gleich folgen werden. „Schubert, Haydn, Langeweile“, flüstert er.

Auch Gäste rieben sich bereits an Mozart. „Das verstört meine Ohren“, beschwerte sich einer bei Gertrud Schneider, der Besitzerin des Fünf-Sterne-Hotels Kristiania in Lech-Zürs in Österreich. Spätestens da wurde ihr klar, dass zu einem Fünf-Sterne-Haus auch ein Fünf-Sterne-Sound gehört – und nicht immer nur der erwartbare Pianist am Steinway oder der obligatorische Klassik-Klangteppich. Tourismus-Experten verkünden, dass der Trend im Luxussegment zum perfekten Gesamterlebnis gehen soll. Und Musik solle dabei mehr als nur die zweite Geige spielen.

In Premiumhotels wird bisher auf vieles Acht gegeben: Die Zutaten für die Küche stammen bevorzugt aus der Region, die Innenräume sind architektonisch penibel aufeinander abgestimmt und oftmals sogar gezielt beduftet. Aber die musikalische Ausgestaltung pendelt häufig noch zwischen den Koordinaten zufällig, erwartbar und mangelhaft. Deshalb kümmert sich nun Peter Resch mit seiner Firma Roomvibes um die Musik im Kristiania. Dazu müssen die Raumbeschaller das Hotel und seine Gäste erst einmal analysieren. „Wir schauen uns alles an: Einrichtung, Publikum, ob Kunst an den Wänden hängt, und wenn ja, welche“, sagt Resch. „Daraus machen wir dann den Soundtrack zum Lokal – wie bei einem Film.“

Natürlich spielt auch der Geschmack der Hotelbesitzer eine Rolle. So hat Gertrud Schneider klare Vorstellungen für ihren „Casual-Dining-Bereich“. Der ist gar nicht so unförmlich, wie sein Name vermuten lässt. Die Tischdecken sind frisch gestärkt, der Kerzenschein verbreitet mondänen Glanz, das Silberbesteck strahlt mit den Weingläsern um die Wette, der Sommelier geht ringsum und empfiehlt den zum Gang harmonierenden Wein. Dazu kann sich Schneider „moderne, elektronische Westernsongs“, vorstellen. Diese habe sie in London, als sie von Boutique zu Boutique schlenderte, kennengelernt. Resch nickt. „Das dürfte hier gut passen.“ Viele Kristiania-Gäste seien um die 60 Jahre alt, aufgewachsen also mit Simon and Garfunkel, den Beatles oder Bob Dylan. Zeitgenössischer Americana-Sound von Bands wie Lambchop, Wilco oder den Fleet Foxes könne für diese Gäste „eine unglaublich positive Überraschung darstellen“, glaubt Resch.

In seiner Jugend hat der Musikbegeisterte als DJ gearbeitet. Vielleicht liegt es an dieser frühen Prägung, dass er Hotels nicht mag, in denen, wie er es selbst ausdrückt, „nur Radioprogramm inklusive Nachrichten, Werbung und schlechter Moderation“ läuft. Bevor er sein neues Geschäftsmodell ins Leben rief, war er Mitinhaber einer österreichischen Großbäckerei. Die Idee zur professionellen Hotelbeschallung kam ihm während einer Autofahrt mit einer befreundeten Hotelbesitzerin. Resch spielte ihr Musik von seinem iPod vor. Der Freundin gefiel’s, und am Abend lief Reschs persönlicher Soundtrack in ihrer Hotelbar.

Heute, zwei Jahre später, läuft das Klangdesign weitaus technisierter ab. Jeder Kunde bekommt einen Touchscreen-Computer und eine personalisierte Playlist, auf die die Musikredakteure via Internet Einfluss nehmen. Roomvibes hat Zugriff auf eine Datenbank mit 30 000 Titeln. Mehr als 30 Kunden hat die Firma aus Wels in der Nähe von Linz bisher. Zehn Leute arbeiten für Roomvibes: Musiker und DJs wie Bernd Rösler, der in Salzburger Klubs auflegt, auch eine Klassikredakteurin. Dieses Jahr peilt man einen Umsatz von einer halben Million Euro an.

Ein weiterer Kunde der Firma liegt im Zentrum von Lech-Zürs – wiederum ein Fünf-Sterne-Hotel. Aber hier sind die Gäste anders als im Kristiana, eher ein vermögendes Szene-Publikum. Der Besitzer wollte für seine Bar im Eingangsbereich „Stimmungsmusik für den Abend“ – eher Bruce Springsteen als Bob Dylan also. Der Roomvibes-Sound ist hier seit Wochen installiert. Tagsüber läuft mediterrane Lounge-Musik, abends auch mal ein rockiges Stück von Queen. Resch und Rösler wollen nun überprüfen, ob Gäste und Gastgeber zufrieden sind. Das lässt sich nicht mit Kennzahlen messen, sondern dazu gehört ein gutes Gespür für Musik und die dadurch erzeugte Atmosphäre. Resch bespricht sich mit seinen Musikredakteuren, oft kommt er oder ein Mitarbeiter noch ein zweites, vielleicht ein drittes Mal ins Hotel – bis der Soundtrack stimmig ist.

Aber auch die Gastgeber sollen ja zufrieden sein. Wobei die Raumbeschaller nicht einfach die Vorstellungen der Hotelbesitzer übernehmen. Für den gehobenen „Fine-Dining-Room“ des Hotels Kristiana etwa, einen mit Jugendstil-Möbeln ausgestatteten Raum mit Blick auf die Lechtaler Alpen, wünscht sich die Besitzerin einen Sound, der aneckt, der die Gäste aufhorchen lässt. Gertrud Schneider denkt an avantgardistische Klassik zum Kalbsstelzen-Sandwich, der französische Komponist Olivier Messiaen würde ihr gefallen. „Aber die Herren stellen sich das ja anders vor“, sagt sie. Es klingt gleichermaßen anerkennend wie zweifelnd. Das Roomvibes-Team hält von Klassik selbst im feinen Essbereich nicht viel, technoide Electronica schwebt Musikredakteur Rösler stattdessen vor. Einen „hohen vierstelligen Betrag“ lässt sich Gertrud Schneider die musikalische Installation am Ende kosten. Das Nachjustieren dieses personalisierten Muzak-Sounds – so nennt man die Berieselung öffentlicher Räume mit Musik – kann laut Resch bis zu einem Jahr dauern.

Resch und Rösler stehen mit gepackten Koffern an der Rezeption des Kristiania, sie werden wiederkommen. Aber die erste Arbeit ist getan, die exakten Playlists stellt Rösler in den nächsten Tagen zusammen. Die Besitzerin ist zufrieden. Im Laufe des Jahres, so hat sich Gertrud Schneider überlegt, könnten sogar noch weitere Musikzonen im Hotel folgen. Einen entspannten Sound für die Sauna hätte Schneider gern. Ob Peter Resch diesen Wunsch erfüllen will, weiß er allerdings noch nicht. Es gibt Musikzonen, aber es sollte in einem Hotel auch Ruhezonen geben, findet er. Und in einer Sauna sei es am besten „still, ganz still“. Marco Maurer