Logo - Marco Maurer Journalist


Immer dem Krach nach

Wie die US-Rockband Simeon Soul Charger versucht, von einem Bauernhof in Oberbayern aus erst Deutschland und dann Nordamerika zu erobern

Wer schon einmal von Los Angeles in Richtung Palm Springs gefahren ist, der weiß, wie sich im Inneren eines Wagens die kalifornische Wüste anhört. Viele der hiesigen Radiosender spielen mit Vorliebe Rock aus den Neunzigerjahren: die Foo Fighters, die Red Hot Chili Peppers oder gleich Künstler eines unter dem Namen „Desert Rock“ bekannten Genres, das wenige Kilometer entfernt in Palm Desert seinen Ursprung hat. Dort wurden John Garcia und Josh Homme geboren, und sie feilten später zusammen mit ihren Bands Kyuss und den Queens of the Stone Age an besagter Spielart des Rock.

Dieser Sound der Wüste will sich auf dem Weg ins oberbayerische Nandlstadt, zum Weiler Bauernried 31, nicht einstellen. Auch der Blick aus dem Fenster bestätigt: Der Landstrich ist nicht der richtige Ort für diese Musik, weder Joshua-Tree-Bäume, noch Kakteen oder Windräder sind zu sehen, sondern Nadelwälder, alte Bauernhäuser und jede Menge Hopfengärten – ziemlich fruchtbares Land also, wir befinden uns schließlich im „Herzen der Hallertau“. Dort hat aber seit 2010 auch ziemlich staubiger Rock seinen Ursprung.

Um dessen Entstehungsort zu erreichen, muss man hinter dem Örtchen Au in der Hallertau zweimal rechts bei einem Kreuz inmitten von Maisfeldern und brachliegenden Äckern abbiegen (und vorher vielleicht die umliegenden Bewohner nach dem Weg fragen, die einem sagen werden: „Na, immer dem Krach nach“). Kurz darauf wird man auf einem ehemaligen Hof einer einstigen Hopfenbauern-Familie auf die US-Amerikaner Aaron Brooks, Rick Phillips, Joe Kidd und Spider Monkey – also auf die Band Simeon Soul Charger (SSC) treffen. An diesem Sonntagmorgen ist es allerdings ziemlich ruhig. Die Band probt nicht, sondern kocht Kaffee, packt Nudelsalat für die anstehende Tour in Plastikboxen und geht dann auf eine Zigarette nach draußen. Dort wird über Holz geredet.

Denn einer ihrer zwei Manager, Bernhard Schauer, ist da. Er will eigentlich über die Tour reden – SSC treten derzeit als Vorband des LaBrassBanda-Sänger Stefan Dettl auf. Weil Dettl durch einen Freund, mit dem er mal in einer Blaskapelle spielte, auf die Band aufmerksam wurde, touren SSC bereits zum zweiten Mal mit ihm. Aber jetzt ist nicht die Tour das Wichtigste, sondern der kommende Winter: Das Bauernhaus ist nicht isoliert. Es sei zu jeder Jahreszeit drinnen kälter als draußen, sagt Joe Kidd, der bärtige Drummer der Band. 16 bis 18 Ster benötigt die Band, um über den Winter zu kommen. Dafür fehlen noch sechs Ster. Manager Bernie sagt zu Kidd, er werde sich darum kümmern. Kidd nickt zufrieden und verschwindet in den Gemüsegarten.

Währenddessen erzählt Schauer, wie es dazu gekommen ist, dass eine US-Band aus Ohio auf einem gut 100 Jahre alten Bauernhof lebt, dort Songs schreibt und Kürbisse anbaut. 2010 war Bernd Buchberger, mittlerweile mit Schauer Manager der Band, auf Urlaub in New York. Eines Abends wurden er und seine Cousine Helga überredet, auf ein Konzert einer jungen Band in einen Klub nach Manhattan zu gehen. Kidd – mittlerweile mit Tomaten und Mangold für sein Frühstücksomelette bestückt – erzählt, die beiden „waren damals zwei von sechs Zuschauern“. Aaron Brooks, der langhaarige Sänger der Band, korrigiert Kidd, es seien doch acht gewesen. Die Band lacht. Jedenfalls war Buchberger nach dem Auftritt so überzeugt (Brooks: „Er war verrückt nach uns!“), dass er die Band zu einer Tour nach Bayern einlud. Wenig später überwies er Geld für Flugtickets. Im April 2010 stand die erste Tour durch den Freistaat an.

Damals wohnten SSC noch auf einem anderen Bauernweiler, bei der Mutter von Buchbergers Cousine Helga. „It’s a Kaff“, sagen sie über den wenige Kilometer entfernten Einsiedler-Hof. Dennoch hat den Stadtkindern aus Akron in Ohio die Gegend schon auf den erste Blick so gut gefallen, dass sie beschlossen, längere Zeit hier zu verbringen. „Wir hatten so etwas nicht!“, sagt Kidd und zeigt auf einen kleinen Teich, der zum Hof gehört. Bassist Monkey ergänzt: Man habe nach mehr als 20 Jahren genug gehabt vom Stadtleben.

Seit Frühjahr 2011 leben sie nun hier zusammen mit ihren Freundinnen aus Ohio, wohnen mietfrei in dem zuvor leer stehenden Haus und haben dort ihre ersten zwei Alben aufgenommen. Das erste, „Meet me in the Afterlife“, ist ordentlicher Wüstenrock inklusive der typisch tief gestimmten Bässe. Über Einflüsse redet die Band nicht gerne, ihre Manager bezeichnen die Musik als „psychedelischen Experimentalrock“, was vor allem auf der kürzlich erschienenen zweiten Platte „Harmony Square“ zu hören ist, einem Konzeptalbum über eine „verrückte Welt“, die Sänger und Songwriter Brooks zumeist irgendwo zwischen Bauernhaus und Tümpel entworfen hat und die von einer Gruppe von Menschen erzählt, die eines Tages im Wald aufwacht und sich dort einem Diktatoren unterordnen muss.

Mit den Alben, die auch eine Hommage an alte Rockheroen wie Black Sabbath, Cream oder Led Zeppelin sind, haben sich SSC bereits einen guten Ruf erspielt. „Unsere Musik kommt hier sehr gut an, unsere Fan-Basis wächst ständig,“ sagt Brooks. Auch die junge Welle des Bayerischen Rundfunks, On3, hat SSC in ihr Programm aufgenommen, weswegen Kidd sagt: „In Bayern wird eine Band mit mehr Respekt als in den USA behandelt.“ Dann spricht er über US-Clubs: „Die Betreiber verstehen nicht, dass man als Musiker auch seinen Lebensunterhalt verdienen muss.“ Hierzulande sei dieses Verständnis vorhanden.

Dennoch ist es Ziel der Band, sich ein Publikum in den USA zu erspielen, obgleich sie weiß: Dort von Musik leben zu können, ist ungleich schwerer als hier. Kommende Woche beginnt die gut einen Monat lang dauernde US-Tour. Ausgangspunkt ihrer Karriere soll aber weiterhin der Hof in Bayern bleiben. Mittlerweile ist der zweite Manager der Band, Bernd Buchberger, mit einem Mercedes und einem Anhänger vorgefahren. Nach und nach verschwinden – am Abend steht ein Konzert in Konstanz an – erst das Schlagzeug, dann die Gitarren und der Verstärker aus dem Probenraum, der einstigen Bauernstube. An den Wänden hängen Poster der Band, Kreuze und knapp 100 Jahre alte Fotografien der Bauernfamilie. Schaut man sie sich näher an, glaubt man in die Gesichter einer Bluegrass-Combo zu blicken. Das ist zwar nur Einbildung, passt aber irgendwie.