Süddeutsche Zeitung
Hinter der Kulisse
Jetzt sitze ich in einer Kirche auf Rarotonga, und das, obwohl ich das zu Hause nie tun würde. Draußen locken die Sonne, die Bilderbuch-Lagune und der Riffhai. Hier drin aber, innerhalb des weißen, mit grünem Moos bewachsenen Gemäuers der Cook Islands Christian Church, könnte ich ewig bleiben und die Gedanken schweifen lassen. Hauptsache, dieser an- und abschwellende Chor hört nicht auf. Sie singen Gospel – Frauen, deren Kleider mit Frangipani-Blüten bedruckt sind, und Männer in blauen Anzügen. Jedes Popkonzert ist dagegen eine Lüge.
Wie bin ich bloß hierher gekommen? Auf diese Insel, auf der mein Handy nicht funktioniert. Auf der es keine Ampel, keinen Starbucks, keine Hotelketten gibt. Dafür konstant tropisch-feuchte 30 Grad Celsius, badewannenwarmes Meer und eine kräftige Sonne, die das Grün der Palmen und den feinen Sand der Stände leuchten lässt, die genauso aussehen wie in der Werbung. Außerdem gibt es noch eine einzige, 31 Kilometer lange Ringstraße um die Insel, entlang der ein Dutzend Kirchen aufgereiht sind.
Dass ich ausgerechnet in dieser Kirche gelandet bin, ist reiner Zufall. Rarotonga ist voller Zufälle, man stolpert von einem Moment in den nächsten. Der Ratschlag, diesen Gottesdienst zu besuchen, kam von Pa. Eigentlich klang es eher wie ein sanfter Befehl dieses Mannes, der mit seinem ledrig sonnengegerbten Surferkörper, den blonden Dreadlocks bis zum Allerwertesten und seinem Dauergrinsen deutlich jünger aussieht als das Alter, das er nennt, 71 nämlich. Seine Frau sagt, er sei Mitte 60, und über seine Alterslüge lache sie täglich. Ich lernte Pa in seinem Garten kennen, weil dort die Trekking-Touren starten, die er veranstaltet. Seinen Nachnamen hat Pa genauso abgelegt wie die meiste Zeit seine Schuhe. Seit der Begegnung mit ihm weiß ich: Kennt man Pa nicht, kennt man Rarotonga nicht. Denn er kennt die Insel wie kein anderer, und die rund 11 000 Inselbewohner kennen ihn.
Das liegt wohl auch daran, dass er als Naturheiler auftritt und unglaubliche Dinge erzählt: dass etwa die stinkende Noni-Frucht Gicht heile, und dass er angeblich schon 44 buddhistische Mönche im Auftrag des Dalai Lama zum 652 Meter hohen Te Manga geführt hat, einer imposante Felsnadel, die der zentrale Blickfang der Insel ist und angeblich einer der stärksten Energiepunkte der Erde. Was auch immer dran ist an den Geschichten dieses Schlitzohrs – Pa weiß viel über Rarotonga und redet auch gern darüber. Und weil Pa auch Bungalows in seinem Garten vermietet, wohne ich nun Tür an Tür mit ihm und treffe ihn jeden Morgen, wenn ich mein Frühstück direkt von den Bäumen pflücke: saftige, süße Mangos. So kam die Sache mit der Kirche zustande, zu der ich auf dem Roller seines Neffen gefahren bin, mit dem ich wiederum tags zuvor den ersten Geburtstag seiner Tochter bei gegrilltem Fleisch und Süßkartoffelsalat gefeiert habe.
Der Chor in der Kirche ist mittlerweile abgeklungen, die Gottesdienstbesucher geben sich die Hände, der Pfarrer bittet zum Essen ins Gemeindezentrum, das gilt auch für mich. Eine Einladung gehört zum guten Ton der Insulaner, schlägt man sie ab, wird zwar weitergelächelt, aber man bleibt der Exot. Kurze Zeit später blicke ich auf einen zwölf Meter langen Tisch mit Hunderten Schüsseln tropischen Essens: Papaya, Mango, Huhn und allerhand Wurzelgemüse. Die Gemeinde hat aufgekocht.
Vor der Kirche wartet Greg Parker in seinem verbeulten Mazda, die Stummel der Scheibenwischer stehen senkrecht wie der Te Manga in den Himmel. Greg ist mein Nachbar, er wohnt seit Jahren in einem von Pas Bungalows. Aus dem Radio erklingt Jake Numanga, der seit 28 Jahren am Flughafen jeden Besucher mit Ukulele-Klängen begrüßt, weswegen es eine stehende Wendung auf den Cooks gibt: „Have you met Jake?“
Greg ist der Besitzer von Vaka TV, dem Spielfilm-Kanal der Insel, auf dem zumeist französische Film-Noir-Klassiker laufen. Er hat seine Heimat Australien verlassen, weil er ein ruhigeres Leben führen wollte. Als wolle er das belegen, zuckelt er mit 40 km/h dahin – das Tempo der Insel. Ursprünglich wollte Greg nach Hawaii auswandern, doch das fand er zu touristisch. Sonntags segelt er. Dazu hat er mich – natürlich – eingeladen.
Danach nehme ich den Inselbus. Der kennt nur zwei Runden, mit und gegen den Uhrzeigersinn. Umgerechnet vier Euro kostet die Fahrt im Inselkarussell. Die Frau am Steuer rät den Gästen, am Titikaveka Beach auszusteigen, dort sei am Vortag ein Hai gesichtet worden.
Nach 40 Schnorchelminuten taucht er vor mir auf – nein, es ist ein anderes Wesen, eines mit rosa Rüssel und wackelnden Ohren. Das Schwein heißt Jane, sein Besitzer Teariki. Der Bauer badet sein Tier, weil es sich dauernd kratzt. Während Jane im Wasser vergnügt quiekt, kommen wir ins Gespräch. Und auch Teariki beteuert: Das Besondere an Rarotonga sind die Begegnungen. Die Strände und Palmen dagegen sind – so schön sie auch aussehen – nur Kulisse für die Bewohner.
MARCO MAURER