Süddeutsche Zeitung
Cooler Spießer
Bevor man in die Dokumentation über Iggy Pop überhaupt reinschaut, ist man erstmal skeptisch – es geht schließlich um eine filmische Homestory. Man erinnert sich also an die Sitznachbarin neulich im Flugzeug, die das britische Promiklatsch-Magazin Hello! las. In einer Juli-Ausgabe breitete Hello! Kind und Kegel des Altrockers Rod Stewart aus, der selbst noch seine rasierte Brust in die Kamera hielt und sich pries.
Der Hintergrund: Stewarts im Herbst erscheinende Autobiografie. Das ist hiermit auch gesagt: Rod Stewart veröffentlicht bald ein Buch, und es ist anzunehmen, dass es mindestens genauso peinlich ist wie besagter Artikel im britischen Journal.
Nun zu Iggy Pop und seiner Homestory bei Arte mit dem Titel Call me Iggy. Auch hier muss der Betrachter, an der Seite des Filmemachers Jean Boué, ins Private, in den Garten, das Haus und das Wohnzimmer eines berühmten Mannes. Iggy Pop lebt in Miami Beach, und als Iggy – wer nennt ihn schon beim Nachnamen – dann zweimal in kurzer Zeit „Come on in!“ sagt und er sich wenig später auf einer Chaiselongue mit übergroßen Versace-Kissen fläzt, beschleicht einen, kurz, das Gefühl, eher zu Gast bei Rod Stewart oder Lothar Matthäus zu sein und nicht bei einer Trash-Punk-Rock-Ikone.
Iggy sagte einmal in einem früheren Interview, dass ein Künstler in dem Augenblick nicht mehr er selber sei, in dem man ihm eine Kamera vor die Augen halte. In der Arte-Doku sagt er dann auch: „Ich bin misstrauisch gegenüber Fremden“, was ja angesichts der Ausgangslage, eines Beitrags zuhause über ihn, allein schon lustig ist. Beide Sätze zeugen davon, dass der als James Osterberg geborene Iggy Pop weiß, was er hier tut: sich inszenieren.
Was also beobachtet man? Wie echt ist es, wenn Iggy vom Anpflanzen seiner Kiefern erzählt? Aber auch: Wie anarchisch ist das noch und wie spießig ist das schon?
Ein Mensch, der aufgrund seines Lebensstils und seiner höllischen Band, den Stooges, schon todgeweiht war und heute sagt: „I had a gun in my head“, ist natürlich grundsätzlich über alle Verdächtigungen erhaben. Er dürfte sogar in einem Gartenzwerg-Heft wie Landlust blättern und bliebe cool. Und selbst die nie vermutete Wertschätzung, die er für seine verstorbenen Eltern empfindet, könnte das nicht ändern: „Ich sage ihnen täglich, dass ich sie liebe“, sagt er. Okay, er liebt sie eben.
So zeigt die Dokumentation ganz nebenbei, wie möglicherweise Musik-Legenden, etwa Ian Curtis, Kurt Cobain, Jimi Hendrix oder Janis Joplin heute lebten, hätten sie die eine existenzielle Phase überstanden, wenn auch wohl um den Preis, dann nicht Legende geworden zu sein.
Dass der großartige Film auf die aktuelle Musik und Arbeit Iggy Pops mit keinem Wort eingeht, ist allerdings eine Schwäche. Dabei war das, was er zuletzt machte, überraschend, die Ausflüge in den Jazz (2009) und Richtung Chanson, was ein abenteuerlich-komisches Iggy-Französisch beförderte. Doch im Gegensatz zu anderen Größen des Geschäfts (Cohen, Bowie, Jagger, McCartney), bleibt Mister Pop nahezu unbeobachtet. Vielleicht auch deshalb, weil er zu den wesentlichen (politischen) Themen dieser Tage oft nichts zu sagen hat.
Wie das früher war, das erfährt man allerdings: dass er den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson kritisierte oder gesellschaftskritische Lieder sang wie „I wanna be your dog.“
Das ist lange her. Iggy kreuzt mittlerweile im Ferrari durch Miami, was man nicht so richtig glauben würde, hätte man es in der Dokumentation nicht sehen müssen. Und aus einem Ferrari heraus lässt sich vielleicht dann doch nur schwer glaubwürdig Systemkritik üben. Marco Maurer