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Burgentheater

Sand, Sand, ist das Gebilde von Menschenhand: Was man beachten muss, um die perfekte Sandskulptur zu bauen

Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben oder mit einer Schippe in der Hand – und das seit mehr als einem Jahrhundert, gerade in Deutschland. Denn die Strandburg ist ein deutsches Phänomen, schreibt zumindest der Kulturhistoriker Harald Kimpel: „Wer an ausländischen Küsten eine Strandburg antrifft, kann sicher sein, einen Deutschen darin zu finden.“ Strandburgen seien für den deutschen Kleinbürger dazu da gewesen, sich vom Strandnachbarn abzugrenzen. Durch die gebaute Burg habe sich dann aber häufig eine Gesprächssituation ergeben, die zeige, dass Menschen manchmal Abstand brauchten, um miteinander kommunizieren zu können.

Aber was ist eigentlich zu beachten, um die perfekte Burg im nächsten Urlaub hinzubekommen? Der Wissenschaftler Stephan Herminghaus vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation hat sich auf die Dynamik komplexer Fluide spezialisiert und sagt: „Keiner braucht ein Rezeptbuch, um eine Sandburg zu bauen“, um dann zu erklären, was die Sandburg im Innersten zusammenhält: „Gibt man Wasser zum Sand, bilden sich zwischen den einzelnen Körnern sogenannte Kapillarbrücken.“ Die daraus resultierende Oberflächenspannung hält die Körner zusammen. Deswegen empfiehlt er, eine Sandburg weder zu trocken noch zu nass zu bauen. „Der ideale Wassergehalt liegt bei etwa zehn Prozent.“ Gebe man zu viel Wasser in den Sand, werde er zu schwer, und die Burg falle, „wie bei einem Erdrutsch“, in sich zusammen.

Außerdem sollten die Sandkörner nicht zu rund geschliffen sein, eckige, wie sie an Flüssen vorkommen, etwa an der Münchner Isar, sind die besseren Sandkörner. Meersand dagegen eigne sich schlechter, denn der ist abgeschliffener, runder als das Sandkorn vom Fluss. Und das Wasser, erklärt Herminghaus, sollte nicht zu sauber sein – Salz, Dreck und Mineralien geben der Burg Halt. Gerade, wenn nach ein paar Stunden die Kapillarbrücken in der Sonne verdunsten und die Sandburg zu bröckeln beginnt. „Der Dreck verhält sich dann ähnlich wie Kleber.“

Ulrich Baentsch ist studierter Architekt und Baumeister von Sandskulpturen und hat Rodins Denker aus Sand auf dem Berliner Sandskulpturenfestival, der „Sandsation“, nachgeformt. Allerdings besteht Baentschs Skulptur auf einer Seite nicht nur aus dem Körper, sondern aus einer Mauerfassade aus sandgeformten Backsteinen, die mit dem Körper der Skulptur verschmilzt. „Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht, da die Skulptur auf der linken Seite eingestürzt ist.“ Ein Unfall, den Sandburgenbauer nur zu gut kennen. Baentsch hat so Phantasie bewiesen, was für ihn das kreative Fundament einer gelungenen Sandburg darstellt. Was ihr Entstehen angeht, hat er eine Reihe von handwerklichen Tipps: „Zuerst würde ich den Sand komplett mit Wasser durchtränken, dann mit den Händen Druck auf ihn ausüben und dann eine Stunde warten.“ Der Sand gewinnt so an Festigkeit. Zum Formen empfiehlt er „eine Mischtechnik aus Schnitzen und klassischem Modellieren“. Als Werkzeug schlägt er weniger Sandschaufel und Eimer, sondern Messer, Gabel oder Löffel vor. Die seien gut geeignet, um runde Formen zu bauen.

Während er das sagt, bleiben immer wieder Menschen vor Baentsch Skulptur stehen und betrachten sie von vorne. Kaum jemand umrundet sie allerdings. „Das finde ich merkwürdig“, sagt er. „Viele Menschen haben kein Verhältnis zur Dreidimensionalität. Das ist im Denken der Menschen irgendwo verlorengegangen.“ Dreidimensionales Denken sei auch für Sandburgen wichtig, „man kann ja versuchen jeden Turm anders zu machen oder mit Räumen zu spielen“, sagt er, denn das Faszinierende am Sand sei für ihn „das Leichte, das Spielerische“.

Ende des 19. Jahrhunderts war der spielerische Moment eher zweitrangig, denn viele deutsche Strände glichen eher Kriegs- oder Kraterlandschaften als Strandabschnitten. Es reihte sich Krater an Krater, schützengrabengleich. Darin saßen Männer in Gehröcken, Frauen in wallenden Kleidern und blickten aufs Meer, um sich um die „Verteidigung der Wasserfront“ zu sorgen. Zudem baute man Strandburgen einst ganz zweckmäßig als Schutz gegen Wind und Wetter, Harald Kimpel nennt das die „utilitäre Funktion“ der Strandburgen. Die hat sich im Sande verlaufen, denn heute haben erst die Strandkörbe, dann die Windmuscheln den Strandburgen den Rang als pragmatischer Schutz abgelaufen.

Heutzutage bauen Urlauber Strandburgen eher aus Spaß oder Langeweile, um, wie es Harald Kimpel ausdrückt, ihre „Freizeit zu verarbeiten“ und ihre Vorstellung von Ästhetik aufzuzeigen. Beim Bau einer Burg mit Sand geht es heute somit vielmehr um L’art pour l’art als um die Form-follows-function-Devise früherer Tage.

Außerdem ist in der Evolution der Strandburgen ein Kleinbuchstabe abhandengekommen – das „r“. Die schutzbietende Strandburg hat sich so zu einer repräsentativen Sandburg entwickelt, weg von der Grube, hin zum Märchenschloss. Marco Maurer