Logo - Marco Maurer Journalist


«Der Schrottplatz meines Vaters war ein Wunderland»

Adam Minter verbrachte seine Kindheit ­zwischen Autowracks und Kupferrohren. Heute ist er Buchautor und bereist die Welt auf den ­Spuren des Mülls. Die meisten Menschen, sagt er, hätten eine vollkommen falsche Vorstellung vom Recycling-Geschäft.

Herr Minter, viele Leserinnen und Leser werden diesen Artikel am Bildschirm lesen. Was passiert mit digitalen Geräten, wenn wir sie entsorgen?
Das ist schwer vorherzusagen. Es kommt auf das Land, die Zeit, den Markt an. Welche Rohmaterialien es gerade braucht. Ein Laptop etwa besteht aus Plastik, Glas, Kupfer und vielen weiteren Metallen. Und gerade was mit Metallen geschieht, ist stark von der aktuellen Nachfrage abhängig. Das Kupfer könnte heute zum Kabel für ein Zuhause werden und morgen zu einem Zaun. Am übernächsten Tag wird es zu einem Kupferrohr.

Und dagegen ein gedrucktes Magazin, was wird mal aus ihm?
In der Regel wird es zu niederwertigem Papier rezykliert, ein Magazin wird es nie wieder werden. Wahrscheinlich begegnet es Ihnen später als billige Pappe. Es könnte als Grusskarte in Ihr Leben zurückkehren.

Ein Laptop ist also schwieriger zu rezyklieren als ein Magazin?
Ja, je mehr Materialien ein Produkt enthält, desto schwieriger ist es zu rezyklieren. Dagegen ist es mit dem Nagel, den Sie aus der Wand ziehen, einfach. Er könnte geschmolzen werden und Ihnen als Nagel wiederbegegnen.

Gibt es Dinge, die nicht wiederverwendet werden können?
Das hängt von der Zeit ab und dem Ort, an dem wir leben. Es ist noch nicht lange her, da wurden Autos oder bestimmte Teile wie Motoren nicht rezykliert. Einfach, weil es die Technologie nicht gab, die unterschiedliche Metalle trennen konnte. Heutzutage werden etwa die Kupferdrähte aus den Autos herausoperiert und wiederverwertet, auch weil sie sonst die Umwelt belasten. Doch es gibt immer noch Materialien, die schwierig zu rezyklieren sind, Autoreifen etwa. Stattdessen können wir Energie aus ihnen gewinnen, wenn wir sie kontrolliert verbrennen und die Wärme nutzen. Das ist aber umstritten. Für die meisten Menschen – ich gehöre auch zu ihnen – ist das keine Wiederverwertung. Andere finden, die aus der Verbrennung entstehende Energie sei ein Recycling-Produkt.

Sie sind als Journalist ein Experte für Recycling, haben die Welt bereist und Bücher darüber geschrieben. Ist der Grund für diese Leidenschaft, dass ihre Familie mit Altmetall handelte?
Ich habe einen Bogen um meine Schrotthändler-Familie geschlagen, bis ich Mitte zwanzig war. Ich wollte nichts damit zu tun haben, wollte Autor werden. Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich je über die Schrottindustrie schreiben würde. Doch dann führte mich meine Arbeit als Journalist für viele Jahre nach China. Dort habe ich begriffen, dass das Schrott-Business missverstanden, ja schlechtgemacht wird.

Inwiefern?
Wir haben alle die Bilder vom Müll in den Entwicklungsländern im Kopf. Viele sagen, wir beuten die Menschen dort aus. Ich habe Einrichtungen überall auf der Welt besucht. Ich weiss daher, dass diese Bilder stark vereinfacht und oftmals falsch sind. Ich glaube, dass die Tätigkeit sehr viel würdevoller ist, als es die westliche Gesellschaft wahrhaben will – egal ob man Chef eines Schrottrecycling-Unternehmens oder Arbeiter in China oder Ghana ist. Daher spüre ich in mir den Wunsch, diese Menschen zu verteidigen.

Auch weil Sie aus so einer Familie stammen?
Ja, meine Familie ist zwar nie so abgewertet worden wie heute jene in Asien und Afrika. Aber ich kann mich auch erinnern, wie die Leute auf uns herunterblickten. Daher habe ich auch einen ganz anderen Blick auf die diskriminierten Schrotthändler in China.

Wie werden sie diskriminiert?
China ist ein zersplittertes Land. Seit Jahrhunderten werden Menschen aus bestimmten Regionen, die bestimmte Dialekte sprechen, abgewertet. Das gilt besonders für Leute im Landesinneren, die oft als unwissend gelten. Ihnen werden Arbeitsplätze, Schulbildung und andere Vergünstigungen verweigert. Wenn sie dann in die Wirtschaftszentren an der Ostküste Chinas auswandern, verschärft sich diese Diskriminierung. In wohlhabenden Grossstädten wie Peking haben sie nur wenige Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Deshalb kontrollieren sie die private Abfall- und Recycling-Industrie.

Was denken Sie, wenn Sie die Drohung hören: «Wenn du gross bist, wirst du Müllsammler?»
Wenn ich jemanden höre, der das zu einem Kind sagt, dann würde ich ihm antworten: Dieses Kind hat die Gelegenheit, eine exzellente Karriere zu machen, sehr viel Geld zu verdienen, unserer Umwelt zu helfen und gleichzeitig seine eigene wie auch die globale Ökonomie voranzutreiben. Wenn man nichts tun kann, ist man immer noch in der Lage, Blechdosen zu sammeln und sie zu verkaufen. Viele Recycling-Familienbetriebe sind genau so entstanden. Nicht jeder Büchsensammler wird zum Millionär. Aber er bestimmt selbst über sein Leben. Müllsammeln ist ein guter Anfang.

War der erste Minter auch Dosensammler?
Mein Urgrossvater, ein Mann namens Abe Leder, ist im frühen 20. Jahrhundert aus Russland in die USA eingewandert. Er hoffte, als Entertainer im Showbusiness Fuss zu fassen. Aber er ist in Texas gelandet. Dort waren diese Fähigkeiten nicht besonders gefragt. Deswegen tat er, was viele Menschen taten: Er sammelte Dinge, die andere wegwarfen, zum Beispiel Stoffreste, die er den Stofffabriken verkaufte. Erst zog er mit einem Beutel herum, irgendwann konnte er sich eine Pferdekutsche leisten, später einen Lastwagen. Warum er nach Minneapolis weitergezogen ist, wissen wir nicht, aber dort wuchs sein Geschäft weiter.

Lässt sich die Geschichte des Recyclings auch an Ihrem Familienunternehmen ablesen?
Mein Urgrossvater hat in Minnesota und ein paar Meilen darüber hinaus verkauft. Mitte der 1970er Jahre änderte sich das, erst haben wir den Müll nach Kanada verschickt, später mit dem Schiff nach China und Taiwan. Dafür muss man besser organisiert sein, eine richtige Buchhaltung führen. Alle haben sich professionalisiert. Zudem wurde die Industrie damals umweltbewusster. Zuvor wurden Kabel rezykliert, indem man die Plastikisolation einfach wegbrannte. Dann begann man darüber nachzudenken, wie man auch die Isolation verwerten könnte.

Sie schreiben in Ihrem Buch: «Wenn ich Schrottplätze besuche, egal ob in Bangalore, Schanghai oder São Paulo, weiss ich, dass ich zu Hause bin.» Fühlen Sie sich dort stärker daheim als in einer Zeitungsredaktion?
Ich fühle mich auf Schrottplätzen viel mehr zu Hause als in einer Redaktion. Und je älter ich werde, desto stärker fühle ich mich auch heimisch bei den Menschen, unter denen ich aufgewachsen bin. Vielleicht, weil ich weiss, welche persönlichen Herausforderungen der Beruf mit sich bringt.

Was bedeutete der Schrottplatz Ihres Vaters für Sie, als Sie ein Kind waren: ein Abenteuerspielplatz oder harte Arbeit?
Ein bisschen von beidem. Es war ein Wunderland. Du gehst herum, und in jeder Kiste verbirgt sich eine spannende Geschichte. Zudem freut sich jedes achtjährige Kind – ich habe mittlerweile selbst eines –, Kränen und anderem schwerem Gerät zuzusehen, wie sie den Schrott bewegen oder schreddern. Meinem Vater beim Handeln zuzusehen war magisch. Er konnte auf einen Haufen Schrott schauen und wusste genau, was er wert war. Wir beide sähen dagegen nur einen Haufen Schrott. Das meine ich mit Wunderland. Aber es war auch harte Arbeit. Mein Vater fragte mich, ob ich in das Warenlager gehen könne, um Metall zu sortieren. Das hört sich erst einmal einfach an. Aber wenn ein paar Klempner fünfzig Kilogramm Rohrleitungen vorbeibrachten, musste ich sie penibel von den Stahlteilen befreien.

Haben Sie mit Ihrer Arbeit je Mädchen beeindruckt?
Meine zukünftige Frau fand es vielleicht interessant, den Schrotthandel meines Vaters kennenzulernen. Aber beeindruckt? Nein. Man versteckte diese Arbeit vor anderen Menschen. In meiner Jugend war der Beruf weder cool noch sozial erwünscht.

Wie ist es, wenn die Leute auf einen herabblicken?
Man weiss schon als Kind, dass dieser Beruf nicht respektiert wird, und wenn man älter wird, weiss man auch, dass er das Klischee von Juden und Schrott nährt. Wenn die anderen Kinder erzählten, dass ihre Väter in einem Büro arbeiteten, als Ärzte tätig seien oder ein Geschäft besässen, und man selber sagen musste: «Meinem Vater gehört ein Schrottplatz», erntete man skeptische Blicke. Es gab an unserer Schule einen Karrieretag, bei dem die Eltern über ihre Berufe sprachen. Ich lud meine nicht dazu ein. Allerdings hat sich das Image in den vergangenen zwanzig Jahren ein wenig verändert. Nun ist man auch stolz darauf zu sagen: «Ich bin ein Rezyklierer.»

Weil der Schrotthandel nun eine nachhaltige Komponente beinhaltet?
Ja, vor allem in den reichen Ländern Europas, in den USA und in Japan ist der Status gestiegen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass aus einem alten Gegenstand etwas Neues werde, sei auch ein Akt des Glaubens, eine Wette. Wie meinen Sie das?
Wie so vieles im modernen Leben ist auch Rezyklieren ein Griff in die Wundertüte. Wenn man im Supermarkt Fleisch kauft, haben die meisten von uns keine Ahnung, wo es herkommt, und auch nicht, welche Bedingungen im Schlachthaus herrschen. Über Recycling wissen wir ähnlich wenig. Was immer Sie in den Abfall schmeissen, wird wahrscheinlich wiederverwertet, aber es könnte sein, dass Ihnen nicht gefällt, wie und wo das geschieht. Viele Menschen möchten glauben, dass ihr Müll in einen grünen Himmel verfrachtet wird. Einen Ort, an dem kleine Umweltengel den Abfall in nachhaltige Verpackungen, Grusskarten aus hundert Prozent Altpapier und Apple-Macbooks verwandeln – und das ganz ohne CO2-Ausstoss. Aber so ist es nicht. Recycling ist ein industrieller Prozess, zwar das bessere Verfahren, als unseren Müll im Boden zu vergraben oder nach Öl zu bohren und daraus Plastik herzustellen. Aber sauber ist es deswegen noch lange nicht.

Warum lohnt es sich eigentlich, Müll um die Welt zu transportieren?
Nehmen wie die USA: Das Land schafft es nur, zwei Drittel der gesammelten wiederverwertbaren Materialien selbst zu rezyklieren. Im anderen Drittel muss jemand einen Wert sehen und daraus etwas machen. Passiert das nicht, wird aus dem Sammelgut einfacher Müll. Man muss also jemanden finden, der die Gelegenheit ergreift. Das ist der Hauptgrund, weshalb man die Stoffe auf diese Reisen nach Indien, China oder Malaysia schickt. So weit die einfache Antwort.

Und die komplizierte?
In der Schweiz werden gewisse Dinge, vielleicht Textilien, nach Norddeutschland gefahren und von dort in alle Welt verschifft. Warum ist das sinnvoll? Es gibt eine globale Schifffahrt, die Schiffscontainer um die ganze Welt transportiert. Die Schweiz wie auch die USA importieren mehr Güter aus Asien, als sie dorthin exportieren. In den Containern aus Asien kommen Matratzen, Computer und Kleider zu uns. Aber wir haben nicht viel, was wir in diesen Containern zurücksenden können, ausser eben gebrauchte Kleidung, Elektrogeräte, Metall und unseren Müll. Weil die Container ohnehin zurückmüssen, bieten die Schifffahrtsgesellschaften sie als Billigtransporte für Recyclinggüter an. Dieser Kreislauf sorgt auch für weniger CO2-Ausstoss der Reeder.

Gibt es die eine grosse Recycling-Lüge?
Oft hört man, dass Europa alle Kleider in Afrika entsorgt. Der Ausdruck «entsorgt» ist falsch. Das würde nämlich bedeuten, dass die Schweiz jemanden in Ghana dafür bezahlt, Kleidung zu entsorgen. Aber so läuft es nicht. Nichts bewegt sich in ein Entwicklungsland, ausser es gibt dort einen Käufer. Der Recycling-Prozess läuft an dieser Stelle genauso ab, wie wenn Sie bei Amazon einkaufen. Der Käufer zahlt nicht nur für die Sachen im Container, sondern auch für den Versand. Es ist also eine Lüge, wenn behauptet wird, dass diese Länder genötigt werden, unseren Müll einzukaufen. Sie betreiben das aktiv. Die globale Recycling-Industrie ist eine Industrie der Käufer. Sie wollen die Rohmaterialien, und ohne ihren Einkauf läuft nichts. Aus finanzieller Sicht wäre es auch billiger, ungewollte Schweizer Kleidung zu verbrennen, als sie nach Ghana zu senden.

Bleiben wir in der Schweiz: Das Land hat nicht nur eines der weltweit höchsten Abfallaufkommen pro Kopf, sondern gilt auch als Recycling-Weltmeister: Sind wir zu beglückwünschen?
Also, die Schweiz bekommt von mir keinen Pokal, weil sie so viel rezykliert. Wenn die Schweiz wirklich Umweltschutz-Weltmeister werden möchte, dann sollte nicht das Ziel sein, so viel wie möglich zu rezyklieren, sondern einfach weniger Müll anzuhäufen – und das geht nur, wenn man weniger verbraucht.

Und wie steht es mit China? Machen wir China durch Müll reich?
Ja, aber natürlich nicht mit Müll alleine. China hat in den frühen 1980er Jahren eine kluge Entscheidung getroffen. Anstatt Bäume zu fällen und Erzminen aufzubauen, hat es sich, im Gegensatz zur EU, zu Japan und den USA, dazu entschlossen, andere Quellen zu erschliessen: Das Land hat versucht, alles, was irgendwie nach Metall aussah, ins Land zu bringen, es zu rezyklieren und damit seine jetzige Infrastruktur aufzubauen, Brücken und Gebäude – eine grossartige Entscheidung, finanziell wie für die Umwelt.

Das Land erhält selten Lob bezüglich des Umweltschutzes.
Natürlich hat China dennoch Minen eröffnet und Wälder gerodet, aber ohne seine Recycling-Strategie wäre das in einem weit grösseren Ausmass passiert, wenn man an das enorme Wachstum des Landes denkt.

Was ist Chinas jetzige Rolle im Müll-und-Recycling-Prozess?
In den späten 2000er Jahren beschloss China, gewisse Arten von Müll nicht mehr einzuführen und zu rezyklieren. Das hat die Recycling-Krise in der EU und in Nordamerika verursacht, weil beide Märkte davon abhängig sind, ihren Müll nach China zu verschiffen. China brauchte zwar weiterhin die Rohstoffe, wollte aber den Recycling-Prozess nicht mehr im Land haben. Chinesische Recycling-Firmen verliessen das Land und eröffneten Betriebe in Vietnam, Malaysia, Kambodscha und Indonesien. Die chinesische Recycling-Industrie treibt immer noch eine Menge Handelsströme an. Die Wiederverwertung findet aber nicht mehr im gleichen Ausmass in China selbst statt wie früher.

Aber es gibt immer noch Betriebe in China. Auf einer Ihrer Reisen fanden Sie die Kleinstadt Shijiao, die sich auf das Wiederverwerten von Weihnachtsbaumbeleuchtungen spezialisiert hat.
Ich fand es wunderbar, diesen Ort zu entdecken. Aber überrascht hat er mich nicht. Auch weil es chinesische Städte gibt, in denen vor allem solche Lichterketten hergestellt werden. Andere wiederum produzieren nur Socken. Ist es dann nicht naheliegend, dass es Orte gibt, die auf das Recycling dieser Objekte spezialisiert sind?

Was war der übelste Ort, den Sie auf Ihren Reisen gesehen haben?
Wen’an, ein ganzer Landstrich, unweit von Peking, der das Kunststoffrecycling zu seinem Wirtschaftszweig gemacht hatte. An Umweltschutz wurde dort nie gedacht. Als ich zu Besuch war, hat man dort altes Plastik zu neuem Plastik geschmolzen, und die Arbeiter atmeten den Rauch ein. Wir haben mit einem Arzt gesprochen, der dort arbeitete. Er meinte, junge Menschen um die 20 erlitten häufig einen Herzinfarkt, weil ihre Lungen plastifiziert seien.

Blickt man auf solche Arbeitsbedingungen und den Umweltaspekt: Wäre es vielleicht besser, gar nicht zu rezyklieren?
Der demographische Niedergang Chinas bedeutet auch, dass die Arbeitgeber stärker um die Arbeitnehmer kämpfen müssen. Deswegen haben sich unter anderem die Arbeitsbedingungen verbessert, auch im Schrotthandel. Natürlich können sie nicht mit der Schweiz mithalten. Vieles ist auch nach Indien ausgelagert worden, dort herrschen derzeit wohl die schlechtesten Umstände. Aber wenn Sie bereit sind, Produkte aus China oder Indien zu kaufen, dann müssen Sie auch damit leben, dass sie dort rezykliert werden. Das sind die Kompromisse, die wir als moderne Konsumenten selbst produzieren, ob wir sie mögen oder nicht.

Tun wir im Zusammenhang mit Recycling auch Dinge, bloss um uns besser zu fühlen?
Trinkhalme haben einen so klitzekleinen Einfluss auf unseren Müll, dass die Ressourcen für die Trinkhalm-Kampagne vor ein paar Jahren besser anderweitig verwendet worden wären. Mit dem Verzicht auf Trinkhalme möchte man eher zeigen, wie nachhaltig man angeblich lebt. Als die Kampagne lief, fotografierte ich einen Abfalleimer vor einem McDonald’s in Malaysia. Er war mit Müll überhäuft, aber auf der Mülltonne stand: «Wir verwenden nicht länger Trinkhalme.» Mir geht es nicht darum, die Leute als Heuchler hinzustellen, sondern zu betonen, dass wir auf dem Gebiet des Abfalls über ernstere Dinge sprechen sollen als über Trinkhalme.

Worüber denn?
Viel wichtiger wäre es, wenn die Leute ernsthaft über die Auswirkungen von Autos nachdenken und danach handeln würden.

Am meisten Energie verbraucht die Herstellung eines Produkts. Heisst das, wir sollten unsere Verbrenner möglichst lange nutzen?
Persönlich denke ich, je länger man ein Objekt benutzt, desto weniger Einfluss hat es auf die Umwelt. Dennoch sollte man auch auf die Details achten. Verbraucht ein Auto Unmengen an Benzin? Dann werde es heute noch los! Mir ist wichtig, dass sich Menschen über ihre individuelle Situation Gedanken machen.

Ihre Philosophie ist es, Dinge so lange zu benutzen wie möglich. Wie oft kaufen Sie sich ein neues Handy?
Ich nutze mein iPhone, bis es nicht mehr von Apple unterstützt wird; zudem kaufe ich nur gebrauchte, wiederaufbereitete Geräte. Man kriegt mehr fürs Geld, und es ist auch besser für die Umwelt, weil kein neuer Produktionsprozess in Gang gesetzt wird.

Ist das ein Verbrauchertipp?
Ja. Der Unterschied zwischen einem iPhone 13 und einem iPhone 15 ist in meinem und wahrscheinlich auch im Leben der meisten Ihrer Leserinnen und Leser klein. Das ist bloss Marketing. Machen ein schnellerer Chip oder bessere Fotos so viel aus? Für mich und die meisten von uns nicht.

Gibt es eigentlich Stoffe, die nicht weiter rezykliert werden können?
Ja, etwa Geschenkpapier, das mit Glitzer und anderen Dekorationen verziert ist. Genauso wenig rezykliert werden kann Kunststoffholz. Das ist eine Art von Kunststoff, der aus rezyklierten Harzen hergestellt wird.

Kürzlich sagte der Verantwortliche für Nachhaltigkeit bei Lego, die Legosteine aus rezykliertem Material seien weniger nachhaltig, als wenn sie aus Erdöl produziert würden. Was sind die Grenzen des Recyclings?
Die meisten Menschen denken, Stoffe seien unendlich oft rezyklierbar. Aber dem ist nicht so. Plastik verliert seine Eigenschaften, daher kann man einen Legostein nicht in einen Legostein gleicher Qualität rezyklieren. Der Prozess nennt sich Downcycling. In Bezug auf die Nachhaltigkeit kann es zudem besser sein, gewisse Stoffe nicht wegen des Recyclings durch die Gegend zu fahren, weil der CO2-Ausstoss dadurch steigt.

Wenn Sie etwas im Recycling-Prozess ändern könnten, was wäre das?
Auf vielen unserer Lebensmittel steht, wie viele Nährwerte oder Kalorien sie enthalten. So etwas Ähnliches würde ich mir auch für unsere Waren wünschen. Damit wir wissen, aus wie viel rezykliertem Material ein Produkt besteht, und diese Information in unsere Kaufentscheidung einbeziehen können. Ich würde die Firmen auch verpflichten, die Haltbarkeit von Produkten zu kennzeichnen. Wie viel Waschgänge verträgt der Stoff? Wie oft kann man ein Handy aufladen, bevor es einen neuen Akku braucht? Vor dem Kauf sollten wir wissen: Wie lange wird der Support vom Hersteller gewährleistet? Dann könnte ich sagen: «Oh, Samsung gibt mir auf das Handy eine Support-Garantie von drei Jahren, Apple aber gibt sechs.» Mit dieser Transparenz könnten wir Verbraucher gute Entscheidungen treffen.

Sollten solche Geräte nicht auch ein Recht auf Reparatur haben?
Viele Hersteller mögen diese Idee aus offensichtlichen Gründen nicht. Aber es wäre wunderbar.

Das Beste wäre aber, einfach nicht zu kaufen.
Absolut, ja. Wir müssen unseren Verbrauch reduzieren. Ich bin aber vorsichtig, wenn ich darüber spreche. Weil ich es selbst hasse, wenn andere von mir verlangen, ich solle wie ein Mönch leben – und tue ich es nicht, soll ich mich schuldig fühlen.

Wie reduzieren Sie den Abfall in Ihrem Alltag?
Wir kaufen zumeist Second-Hand-Kleidung. Für einen Achtjährigen ist das schwieriger, aber möglich. Kaufen wir neue Kleidung, versuchen wir, auf langlebiges Material zu setzen. Wir waschen mit kaltem Wasser, weil heisses Wasser die Kleider schneller abnutzt. Deswegen verzichten wir auch auf den Trockner.

Sie sind passioniert in diesen Dingen. Könnte es sein, dass es Sie irgendwann in den Schrotthandel Ihrer Familie zurückzieht?
Ein wenig sind wir mittlerweile schon wieder im Geschäft, wenn auch auf einem anderen Feld: Meine Frau hat einen Second-Hand-Buchhandel in Malaysia und in Minnesota. Was den Schrotthandel betrifft: Ich denke immer mal wieder darüber nach. Eines Tages vielleicht?

Man kann den Jungen aus dem Schrotthandel holen, aber nicht den Schrotthandel aus dem Jungen?
(Lacht.) Ja, das könnte zutreffen. Mein Sohn läuft bereits mit dem gesenkten Blick eines Schrottsammlers durch die Strassen und schaut, was er in die Finger kriegen kann. Diese Neigung zeigte sich auch, als er im Schultheater mitspielte. An vielen Kostümen waren Metallstücke befestigt, die herunterfielen. Mein Sohn stieg während des Stücks von der Bühne und sammelte sie auf. Meine Frau und ich haben uns nur angesehen und gedacht: «O mein Gott, wir haben einen weiteren Schrotthändler in unserer Familie.»

***
Adam Minter: Der Journalist und Kolumnist für Bloomberg ist in Minneapolis (USA) aufgewachsen und stammt aus einer Schrotthändler-Familie. Sein Urgrossvater startete Anfang des 20. Jahrhundert das Geschäft, das heute als «Leder Brothers» bekannt ist. Minters Vater gründete in den 1970er Jahren «Scrap Metal Processors» . Adam Minter, 53 Jahre alt, hat zwei Bücher über den globalen Umgang mit Müll geschrieben, «Junkyard Planet: Travels in the Billion-Dollar Trash Trade» und «Secondhand: Travels in the New Global Garage Sale». Er lebt mit seiner Familie in Minneapolis und Malaysia.


Marco Maurer beschäftigte sich zum ersten Mal ausgiebig mit Schrott in seinem Leben. Ansonsten kümmert er sich eher um Käse – und zwar in seiner Käsekolumne.