Süddeutsche Zeitung
Faust in die Fresse
Im Café Dichtl könne man sich treffen, sagt sie. Obwohl sie neulich vernommen habe, dass die alte Augsburger Café-Institution häufig von Lokalpolitikern aufgesucht werde. Seither habe das Dichtl bei ihr ein wenig an Glanz verloren. Und bei Eva Gold, 29, und ihrer Band Misuk dreht sich vieles um Glanz, was wiederum ganz hervorragend zu Eva Golds Persönlichkeit, aber auch ihrem Namen passt: „Eva Gold ist eigentlich mein echter Name“, sagt sie und meint damit ja eigentlich, dass sie einen anderen Nachnamen trägt. Gold ist eine aparte Erscheinung aus dem nächtlichen Subkulturleben Augsburgs – ja, dieses gab und gibt es. Kannte man früher das Augsburger Nachtleben, kannte man Gold. Es konnte vorkommen, dass die gelernte Stuckateurin in Blaumann und mit rasiertem Haupt in einen Club einlief; schnell waren die Augen dann auf sie gerichtet. Dann entzog sie sich diesem Leben, musste aus gesundheitlichen Gründen ihren Restaurationsjob quittieren und entschloss sich in dieser Phase, das zu machen, was sie eigentlich immer machen wollte: singen, Musik, hauptberuflich.
Und just zu dieser Zeit, im Jahr 2009, kam dann „das Projekt, das mein Leben schon lange gesucht hat“ – Misuk. Misuk ist eine Band, die Lieder von Bertolt Brecht in einem „zeitgemäßen musikalischen Kontext“ vertont; deswegen auch der Name. Er ist eine Schöpfung Brechts, der versuchte, Ideen seines epischen Theaters auf die Musik zu übertragen. Und Misuk – bestehend aus den Berufsmusikern Girisha Fernando (ehemals Les Gammas; Compost Records) am Bass und der Gitarre, Lilijan Waworka am Keyboard und Stefan Brodte am Schlagzeug – könnte man sich ohne Golds Stimme nicht vorstellen. Gold klingt wie die Großnichte Hildegard Knefs. Mal rauchig, mal wütend, mal jauchzend, mal seufzend, mal kehlig, häufig lasziv, meist fordernd – aber stets klar artikuliert. Gold sagt über ihre Art zu interpretieren, sie sänge ein „sehr akzentuiertes Deutsch“.
In „Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ verkörpert sie so eine Lehrerin und Hure zugleich, beim Song „Surabaya-Johnny“ erinnert sich das erzählende Ich, eine alte Frau, an früher, und Gold klingt dabei wie eine zornige Schnapsdrossel. Golds Gesang ist somit auch Schauspiel. Und ihre Mimik verrät, dass sie gerne in diese verschiedenen Rollen schlüpft.
Mit diesem Rollenspiel gelang Gold und Misuk im Sommer 2012 ein viel beachtetes und gleichzeitig übergangenes Debütalbum zugleich. Viel beachtet, weil die selbstbetitelte Platte auch außerhalb Augsburgs zum Hörtipp wurde, etwa MTV das „Solidaritätslied“ in sein Programm aufnahm; dennoch war es aber auch so, dass Gold von Plattenfirmen zu hören bekam: „Brecht und Pop? Na, danke, das will ich nicht hören“, weswegen Gold sagt, es gebe Menschen in diesem Musikbusiness, „die ganz schön wenige Kommoden mit ganz schön wenigen Schubladen haben“. Die Mischung aus Brecht-Texten und dem Easy-Listening-Breakbeat-Pop (erinnernd an die Soundästhetik von Mia- und Peter Licht-Produktionen) scheint manchen Menschen zu überfordern.
„Man kann uns weder einfach in einen Club noch unbedingt in ein Theater stellen“, sagt Gold und zieht dabei ihre Augenbrauen nach oben. Dass Misuk nur bei einem kleinen Augsburger Label (Schaf Records) unter Vertrag genommen wurde und etwa zur gleichen Zeit eine Plattenfirma ein fürchterliches Album des DJs Hans Nieswandt namens „Hildegard Knef Remixed“ auf den Markt brachte, sagt vieles über die Qualität der musikalischen Trendforschungsabteilungen hierzulande. Es geht oftmals eher um schnelles Geld und nicht darum, Nachwuchs zu fördern. Die stets widerspenstige Knef jedenfalls hätte sich wohl (hätte sie nicht gerade Geld gebraucht), zu Lebzeiten gegen Veröffentlichungen wie die von Nieswandt gewehrt.
Und damit ist man bei einem Thema, das auch Misuk lange beschäftigte: das Urheberrecht. Girisha Fernando – Produzent und Gitarrist der Band, sowie einer der Kurator des Augsburger Brecht-Festivals – spricht von einer „nervenaufreibenden“ Angelegenheit, die beinahe zur Auflösung der Band führte. Denn die Rechte an den Texten liegen bei den Erben Brechts, also bei dessen Tochter Barbara Brecht-Schall, von der bekannt ist, dass sie nicht gerade zimperlich ist, wenn es um das Werk ihres Vaters geht. Theateraufführungen, Verfilmungen wurden in der Vergangenheit verhindert. Doch Johanna Schall, die Enkelin Brechts, sagte über die Songs von Misuk, sie seien „hübsch“ und leitete diesen Eindruck wohl an ihre Mutter weiter; am Ende war jedenfalls auch das Brecht-Erben-Büro in Berlin mit den Misuk-Stücken einverstanden. Man solle darauf achten, heißt es von dieser Seite, dass „Brecht pur bleibt. Keine Kürzungen, keine fremden Texte“.
„Die Brecht-Erben sind offener als ihr Ruf“, sagt deswegen Fernando, nur die Kurt-Weill-Foundation sei „super-streng“, was auch die Ingolstädter Band Slut bestätigen kann, die 2006 eine komplette Vertonung der „Dreigroschenoper“ plante. Slut-Gitarrist Rainer Schaller sagt: „Die Brecht-Seite ist cool. Das Problem ist Kurt Weill. Der ist zu spät gestorben.“ Schaller spricht auf den 70 Jahre langen Schutz des Urhebers nach dessen Tod an, 2021 planen Slut deswegen die Veröffentlichung der kompletten „Dreigroschenoper“. Misuk dagegen umgingen das Problem, indem sie schlicht neue Kompositionen, fern derer Weills, entwarfen.
Nun ist eine zweite Misuk-Platte mit Texten zeitgenössischer Lyriker geplant. Über die Texte Brechts sagt Gold, sie seien „immer mit der Faust in die Fresse, Brecht sagt: ,Friss, friss, friss!’“ Brechts Geschichten seien deswegen „sehr nahrhaft“ für sie gewesen. Zwei speziell aneinander gereihte Wörter wählt Gold, und sie umgibt dann wieder eine gewisse Aura, die sich auch in diesen zwei Sätzen wiederfindet: „Die wahren Frauen waren die Frauen der 20er und 50er Jahre. Bei den heutigen Frauen ist so wenig dahinter, weil sie bereits so viel preisgeben.“ Dieser Ausspruch erzählt eine Menge über die Musik Misuks, aber auch über die Person Eva Gold. Marco Maurer